Franziskanisch leben
Mehr zu uns den Franziskanern in diesem Film.
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Was heißt franzikanisches Leben
Was soll das eigentlich sein: „franziskanisch leben“? Und ist es nicht absurd, sich im 21. Jahrhundert am Lebensentwurf eines Menschen zu orientieren, der im Hochmittelalter in einem kleinen italienischen Städtchen gelebt hat? 800 Jahre später herrschen völlig andere Lebens- und Arbeitsverhältnisse, heutige Menschen sind mit ganz anderen Fragen konfrontiert! Allein ein Blick auf die heutigen Produktions- und Kommunikationsmöglichkeiten und auf den immensen Erkenntnisgewinn in den Naturwissenschaften sowie das dadurch völlig veränderte Verhältnis von Religion und Wissenschaft macht dies deutlich. Ob die anhaltende Faszination, die Franziskus aus Assisi auch heute noch auf viele Menschen ausübt, mehr ist als der Wunsch nach Einfachheit angesichts einer immer komplexeren Welt? Was motiviert Einzelne und Gruppen zu versuchen, heute franziskanisch zu leben?
Eine Antwort mag die Beschäftigung mit den Werten und Haltungen des Heiligen liefern. Franziskus steht wie kaum eine andere Persönlichkeit für die radikale Nachfolge des armen und menschenfreundlichen Jesus von Nazareth. Er steht für die bedingungslose Solidarität mit den Armen und Ausgegrenzten, für die geschwisterliche Begegnung auf Augenhöhe mit allen Menschen. Er steht für den achtsamen Umgang mit der gesamten Schöpfung, für die Verständigung zwischen den Religionen, für den friedlichen Dialog mit Andersdenkenden. Er steht für Gewaltfreiheit bei Konflikten, für Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen und Hilfsbedürftigen. Und er steht dafür, sich von Gott und seinen Geschöpfen zutiefst berühren zu lassen und ihnen unbedingte Liebe entgegenzubringen.
Dass diese Haltungen Menschen des 21. Jahrhunderts ansprechen, zeigen die begeisternden und hoffnungsvollen Reaktionen auf die Namenswahl des neuen Papstes, der sich ganz bewusst in Worten und Gesten in die Tradition des kleinen Armen aus Assisi stellt.
Andererseits ist diese große Zustimmung durchaus erstaunlich. Müssen uns Wertvorstellungen und Lebensprojekt des Franziskus gerade in Deutschland doch vorkommen wie aus der Zeit gefallen. Ganz offensichtlich sind doch für uns heute – persönlich wie gesellschaftlich – ganz andere Werte maßgebend! In unserer Welt bestimmt zumeist der wirtschaftliche Erfolg den Wert des Menschen. Wer arm ist, ist für die meisten von uns selbst schuld daran! Selbstoptimierung ist ein Megatrend unserer Zeit. „Gutmensch“ – damit sind Menschen gemeint, die sich um andere und die Zukunft unseres Planeten kümmern – wird zunehmend zum Schimpfwort und wurde 2015 zum „Unwort des Jahres“ gewählt.
Die internationale Konkurrenzfähigkeit wird zur entscheidenden Kategorie für unsere Gesellschaft. Wert hat nur, was und wer verwertbar ist, das heißt einen Geldwert hat. Alle Bereiche des menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens werden diesem Prinzip unterworfen. Und auch, wenn viel von Inklusion gesprochen wird, Exklusion, also Ausschluss, bestimmt viel mehr unser Leben: die Ausgrenzung aller, die nicht leistungsfähig oder -willig sind beziehungsweise der Optimierung des Wirtschaftsstandortes im Wege stehen.
Genau an dieser Stelle gibt es Gemeinsamkeiten mit der Welt des Franziskus: Er steht am Anfang einer Epoche, in der der wirtschaftliche Erfolg für immer mehr Menschen zum Maßstab für den Wert eines Menschen wurde. Der Besitz des neu aufkommenden Geldes wurde für das gerade entstehende Bürgertum in den Städten zum Dreh- und Angelpunkt. Viele blieben auf der Strecke, wurden ausgegrenzt. Franziskus hat sich radikal gegen diese Sichtweise gewandt und konsequent versucht, den Fußspuren Jesu Christi zu folgen. Das heißt: die Armen zuerst … für Frieden, Gerechtigkeit und für einen geschwisterlichen Umgang mit der Schöpfung. Dies alles und eine Sehnsucht nach dem einfachen, solidarischen Leben, eine Sehnsucht nach erfüllenden Beziehungen, eine Sehnsucht nach Gott treiben Menschen an, die heute franziskanisch leben wollen.
Wer sich aufmacht, diejenigen aufzuspüren, die versuchen, in diesem Sinne ihr Leben zu gestalten, trifft auf ganz unterschiedliche Menschen und auf ganz unterschiedliche Ansätze franziskanischen Lebens außerhalb oder auch in Verbindung mit den verschiedenen franziskanischen Ordensgemeinschaften. Gerade in Zeiten, in denen die Ordensgemeinschaften wenig Nachwuchs haben, wo die Form des traditionellen Ordenslebens – zumindest in Europa – auf dem Rückzug ist, entwickeln sich an einigen Orten neue Formen franziskanisch inspirierter Lebensentwürfe. Ob daraus eine „franziskanische Bewegung“ entstehen kann, ist nicht absehbar. Doch Anknüpfungspunkte für Menschen, die auf der Suche nach franziskanisch inspirierten Lebensentwürfen sind, gibt es allemal.
Franziskanisch inspirierte Einzelpersonen
Viele Menschen haben sich aufgrund einer persönlich tief greifenden Erfahrung, einer Reise nach Assisi oder der Begegnung mit einem sie beeindruckenden Menschen intensiver mit Franziskus und Klara von Assisi sowie deren Lebensprojekten und ihrer Spiritualität beschäftigt. Sie versuchen, ihr Berufs- und Alltagsleben nach franziskanischen Werten auszurichten. Dies tun sie alleine oder in Gruppen, manchmal auch im Kontakt mit einem Schwestern- oder Brüderkonvent.
Die „franziskanische Gemeinschaft-en“
In der „Franziskanischen Gemeinschaft“ sind sicher die meisten Menschen organisiert, die das Wagnis eingehen, franziskanisch zu leben. Wie in anderen Ländern nennt sich die Laienorganisation in Deutschland heute wieder „Ordo Franciscanus Saecularis“ (OFS). Es ist der Dritte, der weltliche franziskanische Orden. Die Struktur ähnelt einem ökumenischen Laienverband: Man organisiert sich in lokalen Gruppen, sechs größeren Regionen, national und international. Alle Ebenen wählen Vorstände und haben einen geistlichen Assistenten, zumeist aus dem Ersten Orden (Franziskaner, Kapuziner, Minoriten). Wer sich zum offiziellen Eintritt in den OFS entscheidet, legt ein Versprechen ab wie auch in den „klösterlichen“ franziskanischen Ordensgemeinschaften. Der OFS hat ebenso wie viele andere Verbände und Vereinigungen in Deutschland ein Nachwuchsproblem. Freiwillige Verpflichtungen auf längere Zeit wollen nur noch wenige eingehen, und für Gruppen, in denen viele Ältere seit Jahrzehnten zusammen sind, kann man einzelne junge Menschen nur selten begeistern. Die Gestaltung des Gruppenlebens und die Häufigkeit der Treffen der Franziskanischen Gemeinschaft sind sehr unterschiedlich und stark von den jeweiligen Personen, ihren Interessen und Möglichkeiten abhängig. Prägend sind die Beschäftigung mit franziskanischen Texten und der Austausch über den Versuch, den Alltag franziskanisch zu gestalten. Die große Bedeutung der gegenseitigen Stärkung für das nicht immer leichte karitative Engagement vieler Mitglieder wird immer wieder betont. In der Regel engagiert sich nicht die Gruppe als solche in einem Projekt, sondern die Einzelnen sind auf ganz unterschiedlichen Gebieten – beruflich oder ehrenamtlich – aktiv und finden in der Gruppe eine persönliche und geistliche Rückbindung. Eine große Rolle spielt auch ein bewusst einfaches Leben, ohne großen Luxus, bei dem auf Nachhaltigkeit und ökologisch verantwortbares Verhalten Wert gelegt wird. Eine Reihe wohl vor allem jüngerer Mitglieder haben sich in sogenannten Personalgemeinden zusammengeschlossen. Sie können sich wegen der oft großen räumlichen Entfernungen nur ein paar Mal im Jahr – dafür aber zumeist über ein Wochenende – treffen. Sie halten zudem über andere Kommunikationskanäle untereinander Kontakt. Für Mitglieder gilt, dass das Kennenlernen franziskanischer Spiritualität eine große Faszination ausgeübt hat, die letztlich dazu führte, sich einer franziskanischen Gemeinschaft auch verbindlich anzuschließen.
Bausteine für ein Leben nach Franziskus und Klara
All diese verschiedenen Ansätze für ein Leben nach Franziskus und Klara zeigen, dass es „den“ franziskanischen Lebensentwurf nicht gibt, sondern ganz unterschiedliche franziskanisch inspirierte Lebensprojekte und Experimente. So werden vielerorts ganz unterschiedliche Bausteine für ein franziskanisches Leben gefertigt. Gemeinsam ist den verschiedenen „Bauleuten“ die Orientierung an franziskanischen Werten und Haltungen. Gemeinsam ist ihnen auch der Versuch, nicht in nostalgischer Verklärung, sondern in der Berührung mit den Armen von heute den Fußspuren Jesu Christi zu folgen und, inspiriert von Franziskus und Klara, Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu finden. Unzeitgemäß oder gar absurd erscheint er dann also keineswegs, der Versuch, heute franziskanisch zu leben.
Erstveröffentlichung in der Zeitschrift Franziskaner im Sommer 2014